Verfasst von: susannealder | 6. April 2010

So war es wirklich


Die letzte meiner drei Fragen ist einfach zu beantworten: Ja, ich hätte besser die Novelle von Aitmatov gelesen. Und ich werde dies auch noch nachholen. Habe mir den Text bereits besorgt… Vielleicht kann ich die Emotionen, die Tragweite der Geschichte beim Selberlesen besser nachvollziehen. Die Story lässt mich nämlich nicht los. Seit ich die Aufführung in der Schauburg gesehen und in der Programmvorschau gelesen habe, Der weiße Dampfer sei die eindrucksvollste Geschichte über Empfindungen der Kinderjahre in einer heillos entzauberten Welt, habe ich das Bedürfnis, das Märchen zu lesen, um dieser Aussage nachempfinden zu können.

Bühnenbild von Mandy Hanke Foto: Schauburg

Bis jetzt habe ich nur theoretische Abhandlungen, Nachfragen und persönliche Gedankenspielereien aufgeschrieben. Jetzt werde ich noch kurz ein paar Worte zur Inszenierung schreiben, um zumindest ansatzweise ein Bild zu vermitteln, wie Der weiße Dampfer in der Schauburg ausgesehen hat.

Auf dem Foto oben ist sehr schön das Bühnenbild der Inszenierung zu sehen. Ein halbkaputter LKW von hinten, eine Rampe Richtung Publikum mit vorne abgeschrägten Seitenwänden. Die Rampe ist die holprige Straße, über die man die Siedlung erreichen kann, in der der kleine Junge mit seinem Opa und ein paar anderen Menschen wohnt. Auf dieser Straße kommt nur sehr selten jemand vorbei. Manchmal fährt ein LKW durch die Region – die einzige Verbindung zur Außenwelt.

Ich mochte das Bühnenbild von Anfang an. Es war schlicht und einfach, nicht überladen und konnte ohne Umbauten über die ganze Aufführungsdauer immer wieder unterschiedlich bespielt werden. Ich mochte auch die Figuren. Mir fielen sofort die bunten, liebevollen, aber keinesfall zu auffälligen Kostüme auf. Und die wenigen, sorgfältig eingesetzten Requisiten. Der Regisseur Beat Fäh inszeniert mit wenigen vorgegebenen Parametern, der Zuschauer soll die Bilder selber konstruieren, die Fantasie arbeiten lassen, Dinge sehen, die gar nicht da sind. Fäh will die Stücke nicht illustrieren, er will eine Atmosphäre schaffen, in der das Publikum sich für die Geschichte öffnen und eigene Vorstellungswelten kreieren kann.

v.l.n.r.: Markus Campana, Peter Wolter, Gerd Imbsweiler, Ruth Oswalt, Johannes Klama und Marie Ruback Foto: Schauburg

Eigentlich ein sehr schöner Gedanke. Ein Konzept, das grandios ist, wenn es funktioniert. Das aber unangenehm ist, wenn man davon weiß, es aber nicht funktioniert hat. So wie bei mir beim Weißen Dampfer.


Antworten

  1. Viel Kritik, viel Unverständnis beim „Weißen Dampfer“. Mir hat das Stück dagegen sehr gut gefallen. Die Frage ist, warum.

    Du schreibst, du hättest besser die Novelle von Aitmatov gelesen. Für mich war es anders. Nach der Aufführung habe ich mich gefühlt, als hätte ich die Novelle gerade gelesen. Es war als hätten die Zuschauer sich nicht in der Schauburg zusammengefunden, um gemeinsam ein Theaterstück anzusehen, sondern um gemeinsam diese Jugendgeschichte zu lesen.
    Ja, das Stück war sehr textlastig. Fünf der Schauspieler, also alle außer dem Jungen, waren laut der Programmkarte ja auch „Erzähler“, und sind beim erzählen immer wieder in verschiedene Rollen geschlüpft. Sie haben also den Text lebendig werden lassen. Aber nicht auf der Bühne, sondern in den Köpfen der Zuschauer. Sie haben für die Geschichte in den Köpfen nur Anstöße gegeben. Ich habe bei dieser Aufführung zum ersten Mal verstanden, was es heißt, wenn immer gesagt wird, Theater solle nicht sein, wie ein Film, sondern der Film solle sich in den Köpfen der Zuschauer abspielen. Wie bei einem Buch wird eben viel Platz für die eigene Phantasie gelassen.
    So wie die Schauspieler dem Publikum die Novelle erzählen, erzählt ja auch der Großvater dem Jungen Märchen, so dass dieser selbst in den schlimmsten Situationen noch genug Phantasie hat, sich eine schöne Geschichte dazu auszudenken.
    Ich glaube nicht, dass man sich erst viel Zusatzinformation anlesen muss, um dieses Stück zu verstehen. Das ist bei „Erwachsenentheater“ öfter mal so. Aber hier meiner Meinung nach nicht. Ich selbst hätte mich als Kind zwar glaube ich bei dem Stück gelangweilt, und hätte beim besten Willen nichts damit anfangen können. Das gebe ich zu. Aber ich habe das Stück nicht mit dem Gedanken angesehen: „Wie hätte ich das als Kind gefunden?“ Sondern ich habe das Kind in mir gefragt: „Wie gefällt dir das?“ Kindertheater also nicht im Sinne nur „für Kinder“ sondern „für das Kind in uns“. Denn es ist meine Auffassung, dass auch Erwachsene (oder junge Erwachsene) noch Kinder bleiben sollten, in ihrem inneren. Mit dem Unterschied, dass sie eben inzwischen mehr Erfahrung haben und mehr verstehen können. Mir als ehemaligem Kind hat das Stück gefallen, denn es hat mich an früher erinnert.
    Zum Bühnenbild hätte ich noch eine Anmerkung: Für mich waren die Bretter hinter dem Führerhäuschen nicht so sehr eine Straße, sondern eher ein LKW-Anhänger, zu dem auch noch der Zuschauerraum gehört hat. So wurden die Zuschauer quasi zu Beginn des Stücks auf diesem Wagen nach Kirgisien gefahren und in der Geschichte in dem fremden Land abgeladen.


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